Glutamat und Sucht
W.J. Schmidt
Sensitivierung.
Die Entwicklung einer Abhängigkeit wird formal oft als Erlernen einer bedingten Aktion angesehen. Dies kann aber das Phänomen "craving" nicht vollständig erklären. Es wird daher heute angenommen, daß wiederholte Einnahme von Suchtmitteln irreversible, plastische Veränderungen im Gehirn (Sensitivierung) verursacht. Dadurch erfahren Suchtmittel - und mit ihnen assoziierte Reize - eine extreme Attraktivitätssteigerung. Da sich Sensitivierung im Tierversuch modellieren läßt, war es uns möglich, die zugrundeliegenden Mechanismen zu untersuchen:
Bei Cocain u.a. Suchtmitteln, die eine Verstärkung der Dopamin-Wirkung verursachen, ist Sensitivierung Glutamat-abhängig und durch Glutamat-(NMDA-) Rezeptor-Blockade zu verhindern.
Die unter Morphin auftretende Sensitivierung wird durch NMDA-Rezeptor-Blockade nicht verhindert.
Schlußfolgerung: Alle Suchtmittel verursachen Sensitivierung, diese kommt aber über verschiedene (neurochemische) Mechanismen zustande.
Platzkonditionierung.
In Platzkonditionierungsversuchen wurde, aufbauend auf vorhergehenden Experimenten gezeigt, daß die Blockade der Entstehung einer Morphin-induzierten konditionierten Platzpräferenz (CPP) durch Koadministration von MK-801 während der Konditionierungssession nicht auf das Phänomen des 'state-dependent learning' zurückzuführen ist. Desweiteren wurde gezeigt, daß MK-801 auch in der Lage ist, die Expression einer bereits zuvor induzierten Morphin-CPP zu unterdrücken, wenn MK-801 akut vor der Test-Session injiziert wird.
Auch der AMPA-Antagonist GYKI52466 wurde in Platzkonditionierungsversuchen untersucht. Es wurde gefunden, daß diese Substanz selbst weder eine Platzpräferenz noch eine Platzaversion auslöst. Jedoch konnte gezeigt werden, daß GYKI52466 bei bereits mit Morphin oder Amphetamin konditionierten Tieren bei akuter Injektion vor der Test-Session die Expression der CPP blockiert (vgl. MK-801).
Zusammenfassend läßt sich für die Platzkonditionierungsversuche sagen, daß sich sowohl die Entstehung als auch die Expression einer Opiat- bzw. Psychostimulanzien-induzierten Platzpräferenz sowohl durch NMDA- als auch durch AMPA-Antagonisten deutlich beeinflussen läßt. Damit sind Vertreter dieser Substanzklassen als potentielle 'anticraving' Mittel anzusehen.